KARLSHÖHE
 LUDWIGSBURG
»
Die Karlshöhe
»
Kantorei
»
Programme
»
Programm 2010
»
Die Konzerte 2010

21.3.2010: Johannespassion

15:00 Uhr, Kirche der Karlshöhe, das Passionsgeschehen nimmt seinen Lauf, beginnend mit dem herrlichen Eingangschor, der die Kernaussage des Johannesevangeliums aufnimmt und musikalisch unterstreicht: Jesus muss zwar einen schrecklichen Tod erleiden, aber dieser ist der Weg zu seiner Verherrlichung als Herrscher und Gott. 

Musik, die Ausführende und Zuhörer in ihren Bann zieht, hautnah am Geschehen, in den Turbae-Chören von schmerzhafter und dramatischer Intensität, in den Chorälen innig, betrachtend, aber ebenso packend. Bis zum Schluss, mit dem "Gänsehaut"-Chor "Ruht wohl" und dem unglaublichen Choral "Ach Herr, lass Dein lieb Engelein"

Die Kantorei, die Gesangssolisten und unser kleines aber feines Orchester (herrlich die zwei historischen Instrumente, Gambe und Viola d'amore) folgten willig und hoch motiviert der sicheren Hand von Tobias Horn.

Und wurden am Ende belohnt durch zunächst minutenlanges Schweigen des tief beeindruckten Publikums, das dann schließlich doch einen lang anhaltenden Applaus spendete.

Unser ehemaliges Mitglied Reinhard Kärcher war in guter Position am Drücker seiner "Lumix". Sehen Sie das Ergebnis auf PICASA.. Und auch die LKZ war dabei und hat das Konzert gebührend gewürdigt. Lesen Sie mehr.. 

Und als kleines "Extra" können Sie hier in das Programmheft schauen, mit dem Text, Vorstellung der Solisten und mehr.

Johannespassion

In der Bibel sind uns vier Evangelien überliefert: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes - das jüngste. Johannes deutet uns Jesus Christus als Gott-König: er wurde in die Welt gesandt, weil es in den alten Schriften so prophezeit war. Im Anfang war der "Logos", die allumfassende Vernunft, und diese alles umfassende Vernunft war bei Gott, und Gott war und ist diese Vernunft - auf eine strenge, philosophische Weise wird auf diese Weise Sinn und Sein der Schöpfung auf eine Weltformel gebracht. Die göttliche Vernunft ward ein helles Licht in der Finsternis, und dieses Licht kann nie mehr vergehen. Mit unseren Realitätsvorstellungen hat der von Gott gesandte Jesus merkwürdig wenig zu tun: seine Leidensgeschichte ist notwendig, und deswegen bringt er sie möglichst schnell und ohne große Emotionen hinter sich. Er stirbt am Kreuz mit den Worten "Es ist vollbracht" - und meint damit nicht sein Leben, sondern die Konsequenz der Schrift. Für Johannes muss Jesus sterben, damit seine Auferstehung geschehen kann: das ist der zentrale Punkt seines Evangeliums. Menschliches Leid sind ihm nur schilderungswert, wenn damit die Prophezeiung erläutert und verifiziert werden kann.

Von Johann Sebastian Bach sind uns zwei vollständige Passionen übermittelt:  eine nach Matthäus und eine nach Johannes. Die Matthäus-Passion ist schwer, dramatisch und leidenschaftlich: Sie beginnt mit einem monumentalen Eingangssatz in markerschütterndem e-moll, geschrieben für zwei Orchester und drei Chöre auf die Worte "Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen!"; sie endet mit Jesu Grablegung und dem bedrückenden Chor "Wir setzen uns in Tränen nieder" - was den gläubigen Christen sicher weniger an die Oster-Erlösung als viel mehr an die Wasserflüsse Babylons erinnerte, wo das Volk Israel in der Gefangenschaft saß und weinte.

Die Johannespassion dagegen ist leichter und kürzer. Sie beginnt wie das Johannesevangelium selbst: Gottes Geist ist in den Streichern in ununterbrochener Wellenbewegung einfach da und immer da - und dann leuchtet ein Licht auf: "Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist" - aus Psalm 8. Dieses "Herr!" blitzt in allen menschlichen Stimmen und den Instrumenten immer wieder als höchster Ton hervor - wie das Licht in der Finsternis. Und wer den Psalm 8 kennt, der weiß, worum es geht: Was ist der Mensch, dass Du an ihn denkst? Der evangelische Kantor Bach führt uns mit diesem Gedanken in die Passion ein, die nur ein einziges Ziel hat: Gottes Gegenwart unter den Menschen zu verherrlichen und zu bezeugen - nichts sonst. Ganz im Sinne des Evangelisten Johannes.

Das Geschehen, das sich nun entwickelt, wird uns immer abwechselnd aus drei verschiedenen Blickwinkeln dargelegt: einer ist die biblische Geschichte, die sich mit Rezitativen und wilden Chören wortgenau an die luthersche Bibelübersetzung hält. Die zweite Sicht wird uns in den eingefügten Arien verdeutlicht: hier interpretiert, "übersetzt" uns ein frommer Textdichter das Geschehen und überträgt es auf unser alltägliches Leben. Die Betrachtung der Wunden Jesu, sein blutgefärbter Rücken, der Gottes Regenbogen gleicht, die Verwirrung, die sich über die Menschheit legt und die schlussendlich nicht mehr weiß, wohin sie noch laufen soll auf der Flucht vor der alles verschlingenden Finsternis. Eine dritte Perspektive ist die des gläubigen Christenvolks, das immer dann, wenn sich eine passende Atempause bietet, mal trotzig, mal nachdenklich, mal zerknirscht einen der bekannten protestantischen Kirchenchoräle singt: das Werk ist vollbracht, und das Häuflein der Gerechten singt diese starken, unverfälschten vierstimmigen Choräle zur Bekräftigung ihrer Glaubensgewissheit.

Wenn man das Werk "Johannespassion" nennt, so ist das nicht ganz korrekt. Das Johannesevangelium zeigt eine logische, zwangsläufige Entwicklung auf - da ist kein Raum für menschliche Regungen und Dramatik. Bach will in seinem Oratorium auf solche Momente jedoch nicht verzichten, deswegen fügt er an zwei Stellen künstliche Dramatik hinzu: Petrus geht hin und weint bitterlich, als der Hahn kräht - zum Zeichen, dass der Knecht den Herrn verleugnet hat. Und nach dem Tod Jesu zerreißt der Vorhang im Tempel "von oben an bis unten durch", die Erde erbebt und es stehen auf viele Leiber der Heiligen - Schnickschnack, den wohl Bach braucht, aber nicht der Jesus des Johannesevangeliums.

Wie endet die Johannespassion konsequent? In der Matthäuspassion sinkt die Welt in Tränen nieder: Schluss, aus, ob Ostern kommt, ist völlig ungewiss. In der Johannes-Passion dagegen geschieht an zwei Stellen Unglaubliches. Im Schlusschor kommt die erste große Verheißung: Durch seinen Tod macht Jesus uns den Himmel auf - und schließt die Hölle zu. An dieser Stelle, an der die Hölle für immer verschlossen wird, findet sich nun kein großes Getümmel, kein Gewoge, kein Kampf, keine Gewalt. Der dazu notwendige Bass fehlt einfach in allen Stimmen: es wird auf einmal ganz ruhig auf der Bühne. Es ist ganz einfach, ganz klar, ganz deutlich: die Hölle gibt es nie wieder für die Christen. Sie ist fort, zu Staub zerfallen, es gibt kein "Unten" mehr.

Aber mit dem Zuschließen der Hölle ist das Erlösungswerk noch nicht vollendet: was wird denn aus uns Menschen? Um das zu zeigen, hat Bach noch einen Choral angehängt - einen seiner großartig einfachen, vierstimmigen Sätze, den alle Menschen gemäß ihrer Stimmlage ohne besondere Kunstfertigkeit singen können, und der nur eine einzige Hoffnung der Christenheit vorträgt: "Ach Herr, lass deinen Engel die Seele nach dem Tod in den Himmel tragen, damit sie dich schaue und preise auf ewig". Der Tod ist nun das Tor zum Licht, und Jesus Christus hat uns für alle Zeit sehend gemacht.
 
von Thomas Reuter, www.diesellog.de